Apparat – von einem der über den DJ-Tellerand schaute

Musiker und Multitalent Apparat alias Sascha Ring beehrte mit seiner Band Jena einen Besuch ab. Wir waren bei einem der einzigen 3 Konzerttermine in diesem Herbst und für vorerst unbestimmte Zeit für euch dabei.
Sascha Ring alias Apparat
Sascha Ring alias Apparat

Sascha Ring fing bereits 1999 an, sich in der Berliner Technoszene zu etablieren, 2001 erschien sein erster Longplayer „Multifunktionsebene“ auf dem Berliner Label Shitkatapult. Nur wenige Jahre später folgen Veröffentlichungen auf Ellen Alliens Label „Bpitch Control“, 2003 startet er das Nebenprojekt Moderat mit den Jungs von Modeselektor und bringt im selben Jahr seinen zweiten Longplayer „Duplex“ heraus. Sein relaxt, experimenteller Elektroniksound ist in vielen Kreisen gefragt. Es folgen weitere Zusammenarbeiten mit Ellen Allien, aus dem das Album „Orchestra of Bubbles“ 2006 hervorgeht. Ein Jahr später folgt „Walls“. Auf dem Album geht Apparat neue Wege und entdeckt seine Stimme. Ruhiger, sphärischer Elektro-Pop findet sich auf diesem. Der Song „Arcadia“ veranlasst Kritiker zum Vergleich mit Thom Yorke. Das Debütalbum von Moderat erscheint 2009 und entwickelt sich zum Kritikerliebling, es gilt heute als eines der besten Alben elektronischer Musik der letzten Jahre. Nach der Moderat-Tour zog sich Sascha nach Mexiko zurück, versammelte eine Band um sich und begann mit den Arbeiten an „The Devil´s Walk“. Das Album erschien 2011 und entferne sich noch mehr als „Walls“ vom Dancefloor. Organischer Sound stand jetzt im Mittelpunkt, unterstützt von Gitarren, Keyboards, Schlagzeug, Streichern und Saschas Gesang. Die elektronischen Wurzeln sind erkennbar, doch der Sound ist ein neuer. Atmosphärischer Pop, melancholische, ruhige Songs, die teils in ausschweifenden, pompösen Arrangements enden. Apparat, jetzt eine Band.

Das Casablanca in Jena ist ein kleiner, versteckter Konzertsaal im Herzen der Stadt. Diesen zu finden ist für nicht Einheimische gar nicht so leicht, wie wir feststellen sollten. Wenn man es dann doch entdeckt, findet man sich vor einer großen Stahltür wieder. Einmal geklopft und die Pforten öffnen sich in einen großen hohen Saal: eine lange Bar an der Seite, Wendeltreppe für die obere Tribüne und ein Raucherbereich im hinteren Ende. Es wirkt alles ein wenig alt und rustikal aber es hat  Charme. Im Casablanca spielt an diesem Abend also die besagte Band und wir haben das Glück bei einem der wenigen Konzerte dabei sein zu können. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, auch eines der letzten für einige Zeit.

Bei unserer Ankunft ist es dunkel und noch nicht allzu viele Schaulustige haben sich versammelt. Die Vorband bildet das elektro-DJ-Duo Shrubbn! Beide könnte man als „alte Hasen“ im Business bezeichnen: Marco Haas aka T.Raumschiere (Mitgründer von Shitkatapult) und Ulli Bomans aka Schieres gründeten Shrubbn! Vor 17 Jahren aber veröffentlichten ihr Debütalbum erst dieses Jahr. Wohl besser spät als nie? Im Sitzen starten die beiden ihre minimalistische Performance. Hinter ihren Laptops, Synthesizern, und Drum Computern entlocken sie diesen ruhige, unkonventionelle, elektronische Klänge. Das Publikum weiß noch nicht so recht etwas damit anzufangen. Licht auf der Bühne kommt nur von 2 alten Schreibtischlampen, die hinter den Laptops positioniert sind. An diese angelehnt, der Deckel eines Road Cases, auf dem ein kleiner Aufkleber mit Aufschrift „Shrubbn!“ steht. Nett. Nach ein paar Songs grinsen die beiden sich an, schalten gleichzeitig die beiden Lampen aus und fangen an schnellere und hektischere Stücke zu spielen. Das kommt schon besser an.

Shrubbn!
Links: Ulli Bomans, Rechts: Marco Haas

Mit dem Ende von Shrubbn! beginnt sich der Saal langsam zu füllen, zwar ist das Konzert nicht ausverkauft, aber so ist gerade noch ein angenehmes Konzerterlebnis garantiert. Nur wenige Menschen mehr und dies wäre nicht mehr gegeben. Nun warten alle gespannt und vorfreudig auf Apparat. Sascha betritt die Bühne ungewohnt mit Mütze. Die Band wird mit Applaus begrüßt und startet das Konzert mit wenig Licht und Nebel. Beim Anblick der vollgestopften Bühne lässt sich nur erahnen, was noch folgen wird. Die ersten Songs sind vom aktuellen Album und machen Stimmung. Sascha begrüßt das Publikum freudig und ist guter Dinge. Auch das Publikum applaudiert brav nach jedem Song und lässt sich von der Atmosphäre, die mit jedem Song weiter aufgebaut wird, mitreißen. Kollektives Gewanke lässt sich von Oben beobachten. Das geringe Licht ist inzwischen bunten Farben und hellem Leuchten der vielen Lampen und Lichtern gewichen. Am Bühnenbild wurde an diesem Abend definitiv nicht gespart. Bei „Candil De La Calle“ setzt ein Prisma Effekt ein, der die Band von hinten anstrahlt. Sascha steht perfekt positioniert, inmitten eines Kreises aus aufgefächertem gelbem Licht. Ein genialer Anblick. Jetzt hat die Band es geschafft und fast alle in diesen träumerischen Zustand versetzt, den man sich wünscht, wenn man auf ein Konzert geht. Sich von der Musik und dem Erlebnis einfach mitreißen lassen.

Sascha im Lichtprisma
© Ulrike von Pokrzywnicki

Der Song, der als nächstes folgt ist einer von Moderat: „Rusty Nails“. Dieser wird live mit Band auf einen ganz anderen Level gehoben, verzerrt mit wildem Gitarrenklängen wird er in die Länge gezogen und endet in einem epischen Finale. Die Band spielt sich in einen Rausch, Gitarrist und Keyboarder Nackt bearbeitet seine Gitarre mit hektischen und schnellen Bewegungen, entlockt ihr einen schrammeligen Sound, der an das pompöse „Geigensaite auf Gitarre“ Geschrammel von Sigur Ros erinnert. Ein Blick auf Sascha: ähnlich getrieben und voller Energie verliert dieser bei dem heftigen Körpereinsatz  seine Mütze, lässt sich davon aber nicht beirren.

Kurze Anmerkung an dieser Stelle: Nackt ist der Künstlername des Keyboarders und Gitarristen von Apparat Band, dieser hat das aktuelle Album mitproduziert und ist unter anderem mit seinem Zweitprojekt Warren Suicide unterwegs. Weitere Künstler auf der Bühne sind Drummer Jörg Wähner und Keyboarder Patrick Rasmussen alias Raz Ohara.

Apparat Band
von links nach rechts: Patrick Rasmussen (Keyboard), Nackt (Keyboard / Gitarre), Sascha Ring (Gesang / Gitarre), Jörg Wähner (Drums)

Mit dem folgenden Song führt Sascha 2 weitere Künstler ein: „Applaus für Mäcki und Philipp!“, einer an der Geige, der andere am Cello aber beide Barfuß nehmen sie mit ihren Instrumenten an der Seite Platz. Logischerweise folgen nun überwiegend Songs mit Streicherparts, wie „The Soft Voices Die“ , „Escape“ oder „Ash/Black Veil“. Bei letzterem steht Nackt auf und verlässt das Keyboard, er steht ein Stück daneben, hat die Augen geschlossen und wankt zur Musik. Dann hebt er seinen Arm und lässt ihn zum Takt kreisen, langsam schneller werdend. Die Band beobachtet ihn, alle Augen sind auf ihn gerichtet und seine Bewegungen werden schneller und damit auch die Musik. Schneller und schneller lässt er seinen Arm kreisen, kurz bevor sich die Musik anfängt zu überschlagen, hechtet er zum Keyboard und leitet das noch gewaltigere Finale des Songs ein. Wahnsinn. Der Sound wabert durch den ganzen Saal und erfüllt den gesamten Raum, dazu Saschas Falsetto  Gesang, der einerseits fragil aber auch druckvoll wirkt. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt und auch auf der Bühne haben alle unglaublichen Spaß, es ist eine Freude mitanzusehen, wenn Musiker solches Vergnügen an ihrem Schaffen haben. Auch Mäcki und Philipp hängen sich voll rein. Wenn sie keinen Streicherpart übernehmen, tippen sie wild auf den Pedalen vor ihren Füßen herum. Sascha bedankt sich oft und viel beim Publikum, viel Spaß hat er mit  uns, so sagt er.

Blick von der oberen Tribüne
Der Blick von der oberen Tribüne © Ulrike von Pokrzywnicki

Die Show entwickelt sich ebenfalls zu einem Erlebnis für das Auge, jeder Song ist lichttechnisch anders konzipiert. Die Bühne leuchtet in allen Farben, von Rot über Grün und Lila bis zu Pink und sogar das komplette Spektrum in Regenbogenfarben wird abgefeuert. Dazu die bekannten kleinen Glühbirnen, die Apparat schon oft verwendet hat. Auf der ganzen Bühne verteilt an Stative geschraubt und einzeln ansteuerbar, leuchten diese passend zur Musik auf. Ein simpler aber ungemein effektiver Effekt.

Einen neuen Song haben die Jungs auch dabei. Eine ruhige Ballade begleitet von Klaviertönen. Ich versuche zu verstehen von was der Song handelt, kann aber bis auf „Sky“ und „Kids“ leider nicht viel aufschnappen. Sascha bedankt sich noch einmal ganz herzlich beim Publikum. Bis auf ein paar in der ersten Reihe, die ihm zu viel reden und seiner Meinung nach respektlos verhalten, hatte er große Freude mit uns. Die Band verlässt die Bühne. Im ersten Moment frage ich mich, ob es überhaupt eine Zugabe geben wird. Ein törichter Gedanke, denn es sollen 3 Lange Zugaben werden, bevor der Abend zu Ende geht. Höhepunkt der Zugabe bildet „Arcadia“ vom Album „Walls“. Nackt gesellt sich nach vorne an Saschas Seite und die beiden hängen sich noch einmal richtig rein. Das Publikum belohnt die Hingabe der Künstler mit ehrlichem und langem Applaus, die gesamte Band versammelt sich abermals auf der Bühne, verbeugt sich vorm Publikum und wendet diesem letztendlich, sichtlich erschöpft aber glücklich den Rücken zu.  Ich wende mich derweil dem Versuch zu, meine Gedanken wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Die Heimreise lang soll dies noch dauern…

Für alle, die sich auch von Saschas DJ-Fertigkeiten überzeugen wollen, hier das einstündige Set aus dem Berliner Boiler Room vom 14.11.2012:

Bisherige Releases:
Multifunktionsebene (2001, LP – Shitkatapult)
Duplex (2003, LP – Shitkatapult)
Can’t Computerize It (2004, 12″ – Bpitch Control)
Duplex (Remixes) (2004 , 12″ – Shitkatapult)
Silizium EP (2005 , EP – Shitkatapult)
Orchestra Of Bubbles (With Ellen Allien, 2006, LP – Bpitch Control)
Walls (2007, LP – Shitkatapult)
DJ-Kicks (2010, Compilation – Studio !K7)
The Devil’s Walk (2011, LP – Mute)
Candil De La Calle (2012, EP – Mute)

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